Entdeckungsreisen

Gegen Rückenschmerzen

Zwischen den Jahren war es wieder soweit: nach einigen Monaten Ruhe bekam ich wieder starke Rückenschmerzen. Nur diesmal zog es sich eine knappe Woche hin, sonst hatte ich die Schmerzen mit Schmerzmitteln nach wenigen Tagen wieder im Griff.

Doch diesmal hatte ich eine Geheimwaffe: ein Buch. Ich hatte es mir sozusagen „auf Vorrat“ bereits gekauft.

Gehört hatte ich davon im Internet per Mundpropaganda. Eine ganze Reihe von Menschen berichten, daß ihnen das Buch geholfen habe, ihre Rückenschmerzen (aber auch andere Schmerzen wie RSI oder Knieschmerzen) loszuwerden. Manche behaupten gar, direkt beim Lesen des Buchs seien ihre Schmerzen verschwunden.

Ein ganz klarer Fall von Esoterik. Das kann gar nicht sein. Ich bin ein zutiefst naturwissenschaftlicher Mensch. Homöopathie oder Osteopathie kommen mir nicht ins Haus! Aber ich war bereit, dem ganzen eine Chance zu geben. Schmerz ist eklig, und wer heilt, hat recht.

Wie ist es ausgegangen? Direkt, nachdem ich das Buch gelesen hatte, hatten die Schmerzen schon etwas nachgelassen. Ich ging ins Bett und am nächsten Morgen stand ich schmerzfrei (wenn auch noch etwas verspannt) auf.

Beweist das nun, daß die im Buch angepriesene Methode funktioniert? Natürlich nicht. Meine Rückenschmerzen sind bisher immer noch wieder weggegangen, und ich habe ja auch eine Woche lang Medikamente genommen. Das mag also reiner Zufall sein. Und nach medizinsicher Lehrmeinung ist es auch Zufall. Aber vielleicht ist doch etwas dran, geschadet hat es mir sicher nicht.

Dr. Sarno vertritt die These, daß die meisten Rückenschmerzen (und viele andere Schmerzen) psychologisch verursacht werden.

Nun schreit natürlich jeder Betroffene auf: „Meine Schmerzen sind echt, nicht eingebildet“. Leider schwingt in unserer Gesellschaft ja immer mit, daß psychologische Leiden keine echten Leiden sind.

Doch derjenige kann unbesorgt sein, Dr. Sarno behauptet nicht, daß der Schmerz eingebildet sei. Nein, es sei echter physischer Schmerz, verursacht durch echten Sauerstoffmangel der Muskeln und anderen Gewebes.

Der postulierte Mechanismus ist folgender:

  1. In uns stecken unterdrückte Emotionen und Anspannungen.
  2. Das Gehirn versucht uns, vor diesen zu schützen und uns von ihnen abzulenken.
  3. Dazu benutzt es das autonome Nervensystem (das so Dinge wie Blutdruck, Gefäßweite und vieles mehr steuert), um absichtlich eine Sauerstoffunterversorgung in einer Region zu bewirken.
  4. Dadurch melden diese Regionen dann Schmerz ans Gehirn zurück, und wir sind abgelenkt. Damit kein Mißverständnis aufkommt: es geht um leichten Sauerstoffmangel. Das Gewebe stirbt nicht ab, es ist eher vergleichbar mit einem Marathonläufer, der sich mit Schmerzen im Oberschwenkel noch über die Ziellinie schleppt.

Ziemlich wilde Theorie, nicht wahr? Sie setzt voraus, das „ich“ und „mein Gehirn“ zwei unterschiedliche Akteure sind, die Geheimnisse voreinander haben können (das Gehirn weiß von den unterdrückten Emotionen, aber ich bin vom Gehirn aktiv getäuscht worden).

Und auch, wenn sie ganz genau in der Form nicht stimmen mag, so setzt die Wirksamkeit von Dr. Sarnos Behandlung nur zwei Dinge voraus:

Erstens haben die Schmerzen eigentlich keinen physischen Grund, sie werden psychologisch erzeugt. Ob sie erzeugt werden, weil unterdrückte Emotionen eine Rolle spielen, wie Dr. Sarno vertritt, oder aus welch anderem Grund auch immer, ist eigentlich egal. In einer Zeit, in der psychologische Effekte zunehmend in den Fokus auch der klassischen Medizin gelangen, ist das zumindest eine denkbare Ausgangslage. Ob man Dr. Sarnos weitergehenden Thesen nun folgt oder nicht.

Und zweitens muß diese physiologische Schmerzursache auf einer psychologischen Täuschung basieren. Unser Gehirn spielt uns etwas vor, ohne daß wir etwas davon merken. Das ist die deutlich schwieriger zu schluckende These.

Doch sofern man die Möglichkeit beider Voraussetzungen akzeptiert, ist die Behandlungsmethode völlig plausibel.

Lassen wir das nun erstmal beiseite und schauen uns an, was Dr. Sarno als Behandlung empfiehlt.

  1. Der erste Punkt ist der allerwichtigste, und Dr. Sarno reitet auch mehrfach darauf herum: Der erste Gang ist der zum Arzt! Da gibt es keine Ausnahmen. Auch wenn Dr. Sarno die meisten Rückenschmerzen für psychologisch verursacht hält, so verleugnet er nicht, daß schwerwiegende physische Ursachen existieren können. Wenn Sie einen Tumor an der Wirbelsäule haben, hilft kein psychologisches Ausdiskutieren! Der Tumor geht nicht weg, nur weil Sie ein Buch gelesen haben.
  2. Bewegen Sie sich aktiv und normal. Physisch ist alles in Ordnung.
  3. Machen Sie sich bewußt, daß Ihr Gehirn Sie anlügt. Erklären Sie Ihrem Gehirn, daß Sie das Spiel durchschaut haben, und das Gehirn diese Scharade nun beenden kann.

Das wars im großen und ganzen bereits. Das Gehirn merkt, daß Sie sich nicht länger täuschen lassen, und gibt diese Schmerzspielchen auf.

Daher kommen auch die Erfahrungen, daß beim Lesen des Buchs die Schmerzen bereits verschwinden: man durchschaut die Tricks des Gehirns und diese verlieren ihre Wirkung.

Und hier ist man an dem Punkt angelangt, wo das alles entweder wie Quacksalberei klingt, oder wo man sich darauf einläßt.

War Dr. Sarno ein Quacksalber?

Einerseits nein: er war über vierzig Jahre Professor an der New Yorker Uniklinik. Ein klassisch ausgebildeter, praktizierender Arzt mit Erfolgen in der Behandlung von Patienten.

Andererseits ja: seine Theorien und Thesen teilte und teilt niemand sonst. Er beklagt sich im Buch auch, daß seine Papers in medizinischen Fachzeitschriften nicht veröffentlicht würden. Das ist normalerweise ein guter Hinweis auf Scharlatanerie. Niemand, wirklich niemand in der medizinischen Fachwelt scheint seine Arbeit voll oder auch nur im wesentlichen anzuerkennen.

Und zuguterletzt nein: Er wäre ein ungewöhnlicher Quacksalber. Normalerweise verkaufen Quacksalber teure Pulver oder noch teurere Seminare.

Soweit ich beurteilen kann, verkaufte Dr. Sarno nichts. Außer seinem Buch. Das für unter zehn Euro Neupreis zu haben ist. Das wäre untypisch. Er mag fehlgeleitet gewesen sein, das mag ich nicht beurteilen, aber ein Betrüger war er offenbar nicht.

Ich sehe es letztenendes so:

Hören Sie auf Ihren Arzt! Es ist keine gute Idee, Wunderheilungen nachzujagen. Doch zusätzlich dieses Buch ausprobieren? Da spricht doch überhaupt nichts dagegen. Sie machen sich ja nichts kaputt. Sie verweigern sich nicht der konventionell-medizinischen Behandlung. Wenn es funktioniert, dann gut. Wenn nicht, dann haben Sie zehn Euro und zwei Stunden Zeit verloren.

Am Ende ist die Diskussion, ob Dr. Sarno recht hatte oder nicht, für Sie wie für mich aber egal.

Wer heilt, hat recht.

#Gesundheit