Entdeckungsreisen

Poker: Ein Glücksspiel?

Thomas Hochstein schreibt mal wieder zu einer rechtlichen Fragestellung.

Nur hat er diesmal einfach unrecht, fürchte ich. :-)

Seinen Ausführungen zu Blackjack mag ich folgen. Poker als Glücksspiel einzustufen ist aber daneben.

Thomas hebt darauf ab, daß Poker für den durchschnittlichen Spieler praktisch nicht durch Kenntnisse, Fähigkeiten oder Erfahrung beeinflußbar, sondern der Ausgang eben reines Glück sei.

Nun ja. Das sehe ich ganz anders.

Thomas nennt drei Punkte aus Tröndle/Fischer. Die ersten beiden sind hier unerheblich, weil sie lediglich auf die monetären Umstände des Spiels abzielen, die beim Poker mal offensichtlich erfüllt sind (Finale der European Poker Tour), mal offensichtlich nicht (Spielen ohne Geldeinsatz unter Freunden).

Der letzte Punkt seiner Aufzählung:

Die zufallsbedingte, nur mathematische Gewinnwahrscheinlichkeit läßt sich durch individuelle Anstrengung nicht wesentlich verbessern. Die „Entscheidung über Gewinn oder Verlust [hängt] nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der Spieler [ab], sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall. Massgebend dafür sind die Spielverhältnisse, unter denen das Spiel eröffnet ist und gewöhnlich betrieben wird, also die Fähigkeiten und Erfahrungen des Durchschnittsspielers“ (BGH, 1 StR 739/51).

(Das BGH-Urteil scheint uralt zu sein, das heißt aber nicht, daß es „Fallobst“ sein könnte; der BGH nimmt auch heute noch regelmäßig darauf Bezug)

Das LG Bochum führt in einer Sportwettenentscheidung (01 I 49/01) folgendes aus:

Dem gegenüber hat es beim – straflosen – Geschicklichkeitsspiel der Durchschnitt der Teilnehmer mit zumindest hälftiger Wahrscheinlichkeit in der Hand, durch Geschicklichkeit den Ausgang des Spiels zu bestimmen. Daß dabei vereinzelten Spielern die Geschicklichkeit fehlt, ist unerheblich.

Das widerspricht m.E. auch nicht dem Grundsatz der einheitlichen Beurteilung, den der BGH aufgestellt hat. Es verhindert nur, daß die Möglichkeit der Teilnahme eines „Vollidioten“ die rechtliche Bewertung des Spiels ändert.

Woran hakt es nun meiner Meinung nach?

Daß eine Einstufung als Glücksspiel bedeutet, daß die Anforderungen an den Durchschnittsspieler völlig überzogen werden. Alleine die sinnvolle Auswahl der Starthände beeinflußt (je nach Pokervariante) die Gewinnwahrscheinlichkeit sicher um weit mehr als die Hälfte. Und ich spreche hier nicht von irgendwelchen computergestützten Berechnungen, ab wievielen Mitspielern eine „7 2 offsuit“ schlechter ist als eine „3 2 offsuit“ (solche Rechnungen werden durchaus angestellt), sondern von simplem Hirn-Einschalten.

Wer sich dem verweigert und unterschiedslos alles spielt, was ihm ausgeteilt wird, noch dazu mit möglichst hohem Einsatz, der spielt ein Glücksspiel, aber das ist nicht „die Schuld“ des Spiels.

Wer unterschiedslos jede Starthand spielt, wer unabhängig von seinem Blatt „all in“ geht, wer seine Karten nicht mal anschaut, für den ist es ein Glücksspiel. Derjenige ist dann aber mit dem Kegler zu vergleichen, der mit geschlossenen Augen auf die Bahn zugeht, sich dreimal dreht und in Kauf nimmt, daß er die Kugel mitten ins Publikum wirft.

Wenn man das zum Maßstab machen will, dann fallen auch alle etwas komplexeren Brett- und Gesellschaftsspiele unter „Glücksspiel“.

Ich weiß wirklich nicht, wie man im Schach sinnvoll vorgeht. Und bei „Puerto Rico“ (nach Ansicht vieler das beste Gesellschaftsspiel „known to man“) wird der bessere Spieler (der, der sich ein bißchen Taktik und Strategie des Spiels „erspielt“ hat) den schwächeren Spieler in aller Regel plattmachen. Diese Spiele jetzt als „Glücksspiel“ zu betrachten, ist aber offensichtlich daneben.

Man möge nur mal schauen, wieviele Pokerbücher es gibt, die sich an Anfänger wenden und Grundstrategien erklären. Die sind nicht für eine kleine Elite, sondern für die Masse. Jeder kann, wenn er will. Und die wichtigsten Punkte lernt er auch selbst, nach wenigen Spielen. Und dazu benötigt man keine großen Kopfrechenfertigkeiten, Gedächtnisleistungen oder ähnliches, wie beim Blackjack-Zählen (ein halbes Dutzend Decks mitzählen ist schon eine ordentliche Leistung, ich könnte das nie).

Insofern scheint mir die Einschätzung, der Durchschnittsspieler sei fast nur vom Glück abhängig, eine Beleidigung des Durchschnittsspielers zu sein.

Wie gesagt, es geht nicht darum, daß der Durchschnittsspieler perfekt oder spieltheoretisch sonderlich fundiert spielen muß. Das widerspräche wohl schon dem Wort „Durchschnitt“. Und „mehr als hälftig beeinflussen“ heißt nicht „mindestens die Hälfte der Spiele gewinnen“, da hätten dann alle Spiele mit mehr als zwei Spielern schlechte Karten. ;-)

Aber daß beim Poker auf mittlere und längere Sicht (auf kurze Sicht, nämlich wenige Runden, haben natürlich die ausgeteilten Karten großen Einfluß) das Ergebnis des Durchschnittsspielers zu mehr als der Hälfte von Glück (und hier kommen nur die Verteilung der Karten in Frage) sein soll, ist einfach nicht zu begründen.

Insbesondere scheint mir die Kluft zwischen diesen Fähigkeiten der Masse und der Profis, die sich um Weltmeisterschaften, große Turniersiege und große Preisgelder balgen, überraschend klein zu sein und immer kleiner zu werden. Die letzten Pokerweltmeister beispielsweise waren nicht die großen Stars, sondern bis zu ihrem Sieg völlig unbekannte Spieler.

Die Einstufung als „Geschicklichkeitsspiel“ ist zwangsläufige Folge der Bewertung der Tatsachen, wie ich meine.

Und ich bin mir sicher, das wird auch irgendwann ober- oder bundesgerichtlich so entschieden werden. Irgendwann muß so ein Fall ja mal hochschwappen.

#Recht