Entdeckungsreisen

Gottesdienste

Gestern, am Heiligen Abend, war ich in der Christmette (evangelisch) in der Stiftskirche. Leider fand ich den Gottesdienst nicht so berauschend.

Zum einen quäkte und störte da permanent ein kleines Kind, einige Meter weiter vorne im linken Schiff („Schiff“ und „links“, da könnte man doch geradezu von „backbord“ sprechen). Aber eigentlich kann ich ja dem Kind nicht so recht böse sein, die glücklichen Eltern waren mal wieder das Problem. Warum läßt man das Kind drei- oder viermal an der Pfarrerin vorbei hinter dem Altar in Richtung Chorraum marschieren und holt es dann von dort zurück, statt daß man es einfach nach dem dritten oder vierten Schritt einfängt? Warum geht der Vater mit dem Kind ans hintere Ende des Schiffes, geht dann aber nicht raus (so kenne ich das aus dem Familien-/Bekanntenkreis; insbesondere wenn beide Elternteile anwesend sind), sondern läßt das Kind eben dort weiterstören? Warum darf das Kind den Rest des Gottesdienstes im Schiff vor und zurück laufen? Und zwar permanent und mit entsprechend Unruhe und Lärm. Aber das kannte ich ja schon vom Besuch des Calwer Eckbräu neulich mit Rince und Szlauszaf, wo zwei kleine Kinder mir ständig in den Rücken gerannt sind und den Vorhang, der den Windzug abhalten sollte, für Versteckspiele genutzt haben. Ich habe manchmal wirklich das Gefühl, unsere Gesellschaft ist nicht familienfeindlich, wie immer behauptet wird, sondern ganz im Gegenteil zu familienfreundlich. Ein Tyrannei der rücksichtslosen Eltern, die ihr Kind gar nicht im Auge behalten wollen, scheint auszubrechen.

Zum anderen war die Predigt eher mittelmäßig. Was „das Flugzeug ist ja fast billiger als die Bahn“ mit „Gott in der heutigen Welt“ zu tun haben könnte, hat sich mir einfach nicht erschlossen. Ist aber auch egal, wenn das Wort „Gentechnik“ in der Predigt bereits am Anfang auftaucht, dann kann sie nichts mehr werden. Ich glaube, ich mag einfach keine dieser verkrampft-gezwungenen sogenannten „aktuellen Bezüge“ in Predigten. Das wirkt unnatürlich und fremd in Predigten. Jedenfalls wenn man das so hölzern einbaut.

Und der Organist war wohl auf Droge? Das Einspielen fand ich ja schon... hm, „modern“ trifft es nicht, eher „unkonventionell“. Aber was er dann beim letzten Lied „O du Fröhliche“ gemacht hat, das fand ich einfach daneben. Das ist für mich das Lied, wo die Gemeinde eben fröhlich singt und mit Weihnachtsgefühlen wieder entlassen wird. Warum er da erstens in einem Wahnsinnstempo spielt (also selbst nach meinen Maßstäben, wo ich den Gesang und insbesondere auch das Vaterunser, das diesmal aber angenehm zügig war, normalerweise viel zu langsam finde), so daß die Gemeinde keine Chance hat mitzukommen, zweitens die „Singmelodie“ kaum erkennbar ist vor lauter künstlerischer Spielerei. Und dann war der Rhythmus, den die Orgel da gespielt hat, auch nicht geeignet, die Gemeinde beim Singen zu unterstützen. Schade, „O du Fröhliche“ ist für mich immer der perfekte Schlußpunkt gewesen.

Heute morgen war ich dann in einem katholischen Gottesdienst in Rottenburg (erst mein zweites oder drittes Mal bei den Katholiken).

Zunächst fiel mir der massive Personaleinsatz auf: Drei Priester (einer davon war wohl eine Art „Oberpriester“?), über zehn Meßdiener, dazu einige Streicher, Bläser, ein ganzer Chor und vier Solisten. Ich nehme an, an einem normalen Sonntag beschränkt man sich auf einen Priester und zwei bis vier Meßdiener?

In einer Prozession zog man also ein: Christus am Kreuz auf Stock vornedraus (hat das eine Bedeutung, daß er stets zum Kircheneingang ausgerichtet war, also beim Einlaufen nach hinten, beim Rauslaufen nach vorne?), dahinter die Priester, wobei einer die Bibel hochhielt und präsentierte. Hat was Koran-artiges, diese Verehrung des „Dings“ Bibel.

Die wurde bald aber auch in einer weiteren Miniprozession zur Seite zur aufgebauten großen Krippe gebracht und dort abgelegt. Sinn für Pomp hat man jedenfalls.

Extrem erstaunt hat mich, daß die Predigt so ziemlich der einzige wirklich gesprochene Text war. Der Rest war ritueller Singsang. Sogar die Schriftlesung (dahinter kam dann noch irgendeine Formel, die ich vergessen habe, irgendwas mit „das Wort des lebenden Herrn“ oder so). Das wirkt ja alles sehr erhaben und unnahbar, aber ich finde, daß der Inhalt da nur die zweite oder dritte Geige spielt. Bei normal gelesenem Segen oder Gebet oder Einsetzungsworten etc., wie es bei den Protestanten der Fall ist, nimmt man doch mehr mit.

Eine nette Sache ist das Händeschütteln mit diversen Neben- und Hintersitzern. Man hat sogar mir die Hand geschüttelt, obwohl nun wirklich offensichtlich war, daß ich da nicht hingehöre (Übrigens ist es zunächst wirklich erschreckend, wenn einem direkt ins Ohr gesungen wird; mein Hintermann kniete und ich saß halt...). Und das, obwohl man demonstrativ nicht für die Protestanten betete, sondern nur für orthodoxe und noch irgendwen. Es gingen dann sogar zwei der drei Priester durch den Zuschauerraum und schüttelten Hände. Ich kenne das ja nur so, daß der Pfarrer am Ende an der Tür steht. Wo dann auch die Kollekte stattfindet.

Eigentlich dachte ich, die Katholiken würden den übriggebliebenen Wein und die Oblaten vom Abendmahl mit viel Brimborium in einen Schrank oder so etwas wegschließen (Was passiert dann eigentlich damit? Trinkt das noch der Priester aus? Wird das weggeschüttet?). Hier wurde aber eher das Prinzip „Müllschlucker“ praktiziert: einer der Priester schüttete die Krümel und Brocken der Oblatenreste in den Kelch, ein Meßdiener brachte eine kleine Kanne (da wurde wohl Wein in den Kelch nachgeschüttet), dann zweimal den Kelch schwenken, daß die Brocken sich gut verteilen und Prost! Und dann mit einem Tuch den Kelch säubern.

Und heute abend gehe ich noch nach Geislingen/Steige zum Weihnachtsliedersingen.

#Kirche