Entdeckungsreisen

Die Ehepaarverschmelzung

Frischverheiratete Paare suhlen sich zuweilen derart in ihrem persönlichen Glück, daß sie in ihren eigenen Augen zu einer einzigen Person, dem „wir“ morphen.

Wenn sie beispielsweise ihre Girokonten zusammenlegen oder alle bestehenden Zeitschriftenabos auf beide Namen ummelden, kümmert mich das nicht.

Aber es gibt einen Aspekt, der leider viel zu häufig vorkommt: Beide Ehepartner schaffen ihre alten Mailadressen ab (oder benutzen diese zumindest nicht mehr) und legen sich eine gemeinsame Mailadresse zu.

Ganz abgesehen davon, daß es ohnehin immer problematisch ist, gut eingeführte Mailadressen stillzulegen: Laßt doch bitte diesen Blödsinn einfach sein!

Nehmen wir das vollkommen fiktive, frischvermählte Paar Lisa und Alexander. Lisa kenne ich seit fünfzehn Jahren, wir waren nie die allerengsten Freunde, aber doch vertraut. Wir haben einiges unternommen und erlebt, sei es alleine oder in der Clique, der Umgangston ist locker, wir können uns auch auf den Arm nehmen oder einander spaßhafte Bösartigkeiten an den Kopf werfen. Die letzten Jahre hatten wir nicht mehr viel Kontakt, nach Schule und Studium gingen wir nun einmal völlig getrennte Wege.

Lisa hat kürzlich Alexander geheiratet. Alexander kenne ich kaum, wir haben uns zwei-, dreimal gesehen, ein wenig nett geplaudert, aber wir sind einander fremd.

Nun möchte ich Lisa wieder mal eine Mail schreiben. Die Rundmail, daß man jetzt unter wir@nachname.example unterwegs ist, habe ich damals bekommen. Und schon wirds unangenehm.

Ich habe nämlich nicht das gemorphte Gebilde vor Augen, wenn ich Lisa ansprechen möchte, sondern eben die Lisa von früher. Wie schreibe ich nun? Lässig-flott, so wie wir immer miteinander geredet haben?

Aber Alexander könnte ja derjenige (bzw. der erste) sein, der die Mail liest. Das ist nicht richtig so, Alexander würde ich völlig anders schreiben. Wenn ich ihm denn irgendetwas zu schreiben hätte, aber das ist ein anderes Thema. Eher nüchtern-neutral? Das paßt aber nicht zu einer Mail an Lisa.

Natürlich denken die beiden sich das so, daß ich „Hi Lisa“ oder „Hallo Alexander“ oder so etwas drüberschreibe, und dann ist es klar, wen ich meine.

Das funktioniert aber nicht. Das fühlt sich noch immer wie ein privater Brief an, der zum Leserbrief im örtlichen Käseblatt mutiert ist. Lisa und Alexander mögen mich ja in ihrem jugendlichen Überschwang als „unser alter Freund Thomas“ sehen, aber das bin ich einfach nicht!

Nun kann ich ja auch schlecht auf eine Scheidung hoffen, nur damit wieder getrennte Mailadressen entstehen.

Also, liebe Frischverheirateten: Seht doch einfach ein, daß ihr nicht unilateral bestehende Beziehungen umdefinieren könnte. Und behaltet einfach getrennte Mailadressen. Legt euch meinethalben eine zusätzliche gemeinsame Adresse zu, für Anlässe wie „hier sind unsere Hochzeitsfotos“ oder so etwas. Richtet euch gegenseitig Mailweiterleitungen ein, denn ihr habt ja schließlich keinerlei Geheimnisse voreinander. Aber laßt mir bitte die Illusion, mit Individuen sprechen zu können.

#Soziales